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George Hinge

 

Alkmans sprog

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In den Jahren 1998-2001 war ich Doktorand an der Humanistischen Fakultät der Universität zu Aarhus. Das PhD-Projekt mündete in einer Dissertation, in der der dialektologischen Stellung des altspartanischen Dichters Alkman eine erschöpfende Darstellung gewidmet wurde.

Die Arbeit ist in einer durchgreifend überarbeiteten Fassung erschienen als Die Sprache Alkmans: Textgeschichte und Sprachgeschichte (Serta Graeca 24), Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 2006, ISBN 978-3-89500-492-6.

Alkman wirkte in Sparta im 7. Jh. v.Chr. und dichtete (vorwiegend) Lieder für Mädchenchöre. Die Bücher seiner Dichtung gingen leider schon in der Spätantike verloren (so scheint es) und waren bis zum 18. Jh. nur aus Zitaten bei späteren Schriftstellern bekannt. Der ägyptische Sand hat aber mehrere Papyrusstückchen bewahrt, von denen das erste und bis jetzt umfangsreichste etwa hundert mehr oder wenig lesbare Zeilen zählt, nähmlich das sogenannte große Partheneion (d.h. Mädchenlied). Alkman ist nicht nur der älteste Chorlyriker, von dem beträchtliche Fragmente erhalten sind, sondern auch der einzige Dichter, der sich der lakonischen Mundart bediente. Seine Gedichte sind deswegen für unser Verständnis der Frühgeschichte der griechischen Dialekte und der Entwicklung der griechischen Dichtersprache von entscheidender Bedeutung.

Der britische Altphilologe Denys L. Page hat 1951 einen hervorragenden Kommentar zu diesem Gedicht geleistet, in dem er dafür argumentiert, dass Alkmans Lieder im lokalen („epichorischen“) Dialekt geschrieben worden seien, und der Einfluss des Epos (vor allem der homerischen Epen) sich auf die Stellen beschränke, deren Thematik, Phraseologie oder Metrik besonders episch geprägt sind. Dieser Schluss wird ohne weiteres von allen Handbüchern wiederholt, obwohl andere Papyri als der von Page behandelte seither veröffentlicht worden sind. In meiner (1996 verfassten) Magisterarbeit habe ich Pages Behandlung des „Digamma“ (d. h. [w]) kritisiert und geschlossen, dass Alkman diesen Laut nicht in demselben Umfang verwendete, wie es im lokalen Dialekt der Fall ist, und deshalb nicht grundsätzlich auf diesem Dialekt dichtete. Ich behauptete stattdessen, dass der epische Einfluss nicht zufällig und aufgepflastert war, sondern in der Sprache Alkmans tief eingewurzelt. Einen Teil der Magisterarbeit habe ich nachher ins Deutsche übertragen und in Classica & Mediaevalia 48 (1997) veröffentlicht: „Kritische Beiträge zum Alkmanischen Digamma“.

Der 61-seitige Exkurs von Pages Buch war bisher die einzige Darstellung des alkmanischen Idioms,[1] und sie ist in der Zwischenzeit mit der Entdeckung zahlreicher neuer Fragmente nicht mehr auf dem Laufenden.[2] Darüber hinaus sind Pages sprachwissenchaftliche Analysen, obwohl er ohne Zweifel als einer der hervorragendsten Philologen seiner Zeit hervorgehoben werden muss, nicht immer einwandfrei. Diese Lücke wird nun mit meiner (2001 examinierten und 2006 veröffentlichten) Dissertation Die Sprache Alkmans geschlossen. Das Werk, das sich sowohl an Altphilologen als auch an Indogermanisten richtet, ist zugleich eine Laut- und Formenlehre der Sprache Alkmans und eine geschichtliche Untersuchung der Herausbildung der Dichtersprache und der Überlieferung des Textes. Die alkmanische Chorlyrik ist uns auf zwei verschiedene Weisen überliefert: zum einen durch Zitate bei klassischen und hellenistischen Autoren, zum anderen auf Papyrusfragmenten von ziemlich unterschiedlichem Umfang und Zustand. Diese ungünstigen Überlieferungsumstände erfordern eine sorgfältige Analyse jedes einzelnen Sprachphänomens, um die betreffende Form genauer bestimmen und ihre sprachwissenschaftliche und philologische Reichweite besser ermessen zu können.

Die Sprache Alkmans ist zunächst eine textkritisch begründete und sprachgeschichtlich orientierte Grammatik des alkmanischen Idioms. Der Wert des Buches liegt vor allem darin, dass es dazu beiträgt, die Diskussion zur alkmanischen Sprache bzw. zur griechischen Sprachgeschichte überhaupt auf einer qualifizierteren Grundlage führen zu können. Es wird die nicht wenigen Phantomformen, die jeder textlichen Grundlage entbehren, endgültig aus der philologischen und sprachwissenschaftlichen Literatur tilgen. Darüber hinaus wird ein neues Modell für die Entwicklung der griechischen Dichtersprache vorgestellt. Ich argumentiere gegen eine unkritische Rückprojektion der hellenistischen Schreibformen auf den archaischen Urtext und arbeite stattdessen mit einer Unterscheidung zwischen einer von der Aufführung bedingten Oberflächenstruktur und einer kontextunabhängigen Tiefenstruktur. Mit diesem heuristischen Schnitt gelingt es, eine grundsätzliche Übereinstimmung der Sprache Alkmans mit der anderer Dichter, v. a. Homers, festzustellen. Meine These, dass die Chorlieder Alkmans weitgehend erst in der hellenistischen Zeit schriftlich fixiert worden seien, wird ohne Zweifel als kontrovers gelten. Nichtsdestoweniger wird die These, die für die übrigen Ergebnisse der Arbeit nicht entscheidend ist, einen wesentlichen Beitrag zur andauernden Diskussion der Mündlichkeit der frühgriechischen Dichtung liefern.


Anmerkungen

[1] Ernst Rischs kurzer, aber einflussreicher Aufsatz aus 1954, „Die Sprache Alkmans“ (Museum Helveticum 11, 20-37), soll auch erwähnt werden. Richard Albert Felsenthals unveröffentlichte Dissertation The Language of the Greek Choral Lyric (Wisconsin-Madison 1980) ist lediglich eine Wiederholung von Pages Position.

[2] Neue Papyri sind P.Oxy. 2387 (= Fr. 3), P.Oxy. 2388 (Fr. 4), P.Oxy. 2394 (= Fr. S5(b), 162), P.Oxy. 2443 (= Fr. S5(b)), P.Oxy. 2801 (= Fr. S3), P.Oxy. 3213 (= Fr. S5(b)), P.Med. inv. 72.10 (= Fr. 93). Neue Papyrus-Kommentare (mit Zitaten aus Alkmans Gedichten) sind P.Oxy. 2389 (= Fr. 1, 2, 7, 8, 9, 11, 13(a), 16), P.Oxy. 2390 (= Fr. TA10a, TA10b, 5), P.Oxy. 2391 (= Fr. 6), P.Oxy. 2392 (= Fr. 18), P.Oxy. 2393 (= Fr. 12), P.Oxy. 2506 (= Fr. 10(a) = TA2, 10(b), 16), P.Oxy. 2802 (= Fr. S5 = TA11b), P.Oxy. 3209 (= Fr. 4(a)), P.Oxy. 3210 (= Fr. S 5(a)), P.Oxy. 3542 (= Fr. TA3).